Aufwärmen & Verletzungsprävention: FIFA 11+ neu gedacht

Inhaltsverzeichnis

Warum ein Update des FIFA 11+ nötig ist

Du möchtest deine Spieler fit und verletzungsfrei halten? Als Trainer, Spieler oder Elternteil weißt du, wie wichtig Prävention ist. Das FIFA 11+ hat sich über Jahre hinweg als ein effektives Programm etabliert, das mit einfachen Übungen das Risiko für Verletzungen um bis zu 50 % verringern kann. Doch trotz dieser bewährten Methode stellen viele Teams fest, dass die Umsetzung häufig nicht die gewünschten Erfolge bringt. Die Übungen werden oft als monoton empfunden, was dazu führt, dass die Motivation sinkt. Die Folge: Verletzungen treten trotzdem auf.

Die Lösung liegt in einer Weiterentwicklung des FIFA 11+ auf der Basis neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse. Verletzungen sind nicht nur ein körperliches Problem. Auch neurokognitive Prozesse wie die Aufmerksamkeit, die Fähigkeit zur schnellen Entscheidungsfindung und die Reaktionsfähigkeit spielen eine zentrale Rolle. Ergänzend dazu sollte propriozeptives Training, insbesondere in Form von Neuro-Mobility-Übungen, eine größere Bedeutung erhalten. Ein Update des FIFA 11+ müsste daher den Fokus erweitern und diese neurozentrierten Aspekte mit einbeziehen.

Verletzungsprävention
Alex führt Fußballenkreise zur Verletzungsprävention durch

Aufwärmen: Was das FIFA 11+ bisher leistet

Das FIFA 11+ ist ein strukturiertes Aufwärmprogramm mit insgesamt 15 Übungen, die auf Kraft und Stabilität abzielen und verschiedene Laufübungen enthalten. Das Ziel dieses Programms ist es, häufige Verletzungen an Knie, Knöchel und Leiste zu verhindern. Studien zeigen, dass die Umsetzung des Programms mindestens zweimal pro Woche zu einer signifikanten Reduzierung des Verletzungsrisikos führt. Doch warum treten trotzdem weiterhin Verletzungen auf, wenn das Programm an sich so effektiv ist?

Ein Grund könnte in der linearen Struktur des Programms liegen. Es fehlt an Variation, Bewegungsvielfalt und der gezielten Förderung kognitiver Fähigkeiten. Verletzungen entstehen oft nicht nur durch körperliche Schwächen, sondern auch durch Fehler in der Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit, die in typischen Spielsituationen auftreten. Das FIFA 11+ muss also weiterentwickelt werden, um diese Dimensionen ebenfalls zu adressieren. Zu diesem Ergebnis kommen auch die Autoren des Artikels „Neurocognitive & Ecological Motor Learning Considerations for the 11+ ACL Injury Prevention Program: A Commentary“, welcher im International Journal of Sports Physical Therapy veröffentlicht wurde.

Verletzungsprävention
Häufig treten bei Fußballern Verletzungen am Knie auf

Warm-Up: Checkliste für Trainer, Spieler und Eltern

  • Ist das Warm-up abwechslungsreich und motivierend?
  • Bezieht es neurokognitive Herausforderungen wie Aufmerksamkeit und Entscheidungsfindung ein?
  • Gibt es Übungen, welche die Bewegungslandkarte schärfen?
  • Passt es zu den Anforderungen des Spiels?

Mit diesen Anpassungen wird das FIFA 11+ nicht nur zu einem Mittel der Verletzungsprävention, sondern auch zu einem leistungssteigernden Training. Die Spieler sind nicht nur körperlich, sondern auch mental auf jede Herausforderung vorbereitet – für jedes Spiel.

Die Rolle des Gehirns in der Verletzungsprävention

Stell dir vor, ein Spieler muss auf einen plötzlichen Richtungswechsel eines Gegners reagieren. Es geht hier nicht nur um die Stärke der Muskulatur oder die Technik des Spielers. Viel entscheidender ist, wie schnell und präzise das Gehirn die Situation wahrnimmt und die passende Bewegung einleitet.

Die Fähigkeit zur schnellen Entscheidungsfindung und die Reaktionsgeschwindigkeit spielen eine Schlüsselrolle. Ein Defizit in diesen neurokognitiven Prozessen kann dazu führen, dass der Spieler unvorbereitet reagiert, was das Verletzungsrisiko erhöht. Ein gezieltes Training dieser Fähigkeiten könnte die Verletzungsgefahr signifikant verringern.

Wie könnte ein neurokognitiv erweitertes FIFA 11+ aussehen?

Das neue FIFA 11+ sollte einige klassische Übungen wie etwa den Nordic Hamstring Curl oder Teile der Running Exercises beibehalten, aber mit gezielten neurokognitiven Herausforderungen erweitert werden. Hier einige mögliche Anpassungen:

  • Aufmerksamkeitstraining: Spieler reagieren gleichzeitig auf visuelle und akustische Signale. So wird ihre Fähigkeit, relevante Informationen schnell zu erkennen und zu verarbeiten, verbessert.
  • Entscheidungsfindung fördern: Übungen, die schnelle Entscheidungen in unvorhersehbaren Spielsituationen fordern. Genau wie im Spiel müssen die Spieler blitzschnell entscheiden, wie sie auf eine Veränderung der Spielsituation reagieren.
  • Spielnahes Training: Übungen, die typische Spielsituationen wie Richtungswechsel oder das Ausweichen vor Gegnern simulieren, machen das Training realitätsnäher und verbessern die Bewegungskoordination unter Stress.

Ein Beispiel: Statt nur auf einem Bein zu balancieren, reagiert der Spieler auf ein Signal des Trainers – zum Beispiel ein „Rot“ oder „Grün“ mit einem Sprung nach rechts oder links, je nach Zuordnung der Farben. Auf diese Weise wird nicht nur die Muskulatur, sondern auch das Gehirn des Spielers gefordert.

Integration neurokognitiver und ökologischer Herausforderungen in die Übungen

Diese Leiter zeigt dir, wie Übungen mit zusätzlichen neurokognitiven Herausforderungen ergänzt werden können:

Die Ergänzung dieser neurokognitiven Elemente fordert die Spieler nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Sie müssen ihre Reaktionsfähigkeit unter realistischen Bedingungen schulen, was zu einer besseren Anpassungsfähigkeit im Spiel führt. All diese Inhalte thematisieren wir auch detaillierter im Rahmen der Soccerkinetics Trainerausbildung.

Das Zusammenspiel von Neurokognition und dem propriozeptiven System

Traditionelle Ansätze in der Sportmedizin konzentrieren sich vor allem auf physische und biomechanische Risikofaktoren. Inhalte wie Muskelstärke, Bewegungsanalyse und körperliche Fitness stehen hier im Mittelpunkt. Diese klassischen Methoden bieten zwar eine solide Grundlage, doch sie erklären nicht alle Verletzungsrisiken vollständig.

Neuere Erkenntnisse betonen die Bedeutung von neurokognitiven Fähigkeiten wie Antizipation, sensorische Verarbeitung und Koordination. Verzögerungen oder Defizite in der sensorischen Verarbeitung können das Verletzungsrisiko erheblich erhöhen, da sie zu Koordinationsfehlern und gefährlichen Bewegungsmustern führen. Eine schnelle Informationsverarbeitung und gezielte Steuerung der Bewegungen durch das Gehirn sind entscheidend, um Verletzungen effektiv vorzubeugen.

Daneben liegt ein entscheidender Faktor zur Verletzungsprävention und Leistungssteigerung in der Verknüpfung von neurokognitiven Prinzipien mit dem propriozeptiven System. Während neurokognitive Ansätze die Fähigkeit fördern, schnell auf Reize zu reagieren und Entscheidungen zu treffen, sorgt das propriozeptive System dafür, dass diese Entscheidungen in präzise Bewegungen umgesetzt werden können.

Unsere Bewegungslandkarte

Das propriozeptive System ist unser körpereigenes „Navigationssystem“. Es erstellt zu jeder Sekunde ein präzises 3D-Bild der Körperhaltung und Bewegungen im Raum. Informationen über Position, Bewegungsrichtung und Muskelspannung werden über Propriozeptoren in Muskeln, Bändern, Sehnen und Gelenken gesammelt und kontinuierlich ans Gehirn weitergeleitet. Diese Daten ermöglichen dem Körper, sich sicher und effizient zu bewegen, auch unter komplexen oder dynamischen Bedingungen.

Stell dir deine Bewegungslandkarte wie eine echte Landkarte vor: Wenn bestimmte Bereiche darauf verschwommen oder ungenau sind, fehlt deinem Gehirn eine präzise Grundlage für die Planung und Kontrolle von Bewegungen. Das Ergebnis sind häufig ineffiziente Bewegungsmuster, Koordinationsprobleme oder sogar Verletzungen. Ziel des propriozeptiven Trainings ist es, diese Landkarte durch gezielte Übungen zu schärfen. Eine detaillierte und gut entwickelte Bewegungslandkarte ermöglicht es dir, präzise Bewegungen auszuführen, schneller zu reagieren und Verletzungen vorzubeugen.

Das propriozeptive System ist dabei keineswegs isoliert, sondern arbeitet Hand in Hand mit dem visuellen und vestibulären System. Gemeinsam bilden diese drei Systeme die Grundlage für unser Gleichgewicht, unsere Raumwahrnehmung und Bewegungskoordination. Ein gut geschultes propriozeptives System integriert diese Informationen effizient und ermöglicht nicht nur sicherere Bewegungen, sondern auch eine maximale Bewegungsfreiheit und Leistungsfähigkeit.

Durch die Integration propriozeptiver Übungen in bestehende Programme wie das FIFA 11+ eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Spieler profitieren nicht nur von einer besseren Stabilisierung der Gelenke und einer gesteigerten Bewegungskoordination, sondern auch von einem optimierten Bewegungsablauf. Dieses Training sorgt dafür, dass die Bewegungslandkarte deines Gehirns immer präzise bleibt. Das Ergebnis: Spieler bewegen sich leichter, schneller und sicherer, was nicht nur Verletzungen verhindert, sondern auch die Resilienz und Mobilität im Alltag stärkt.

Indem neurokognitive und propriozeptive Ansätze zusammengeführt werden, entsteht ein ganzheitlicher Trainingsansatz, der das Potenzial des FIFA 11+ weiter ausbaut. Trainer und Spieler können so nicht nur Verletzungen effektiver vorbeugen, sondern auch die Leistung nachhaltig steigern.

Fazit

Das FIFA 11+ bleibt eines der weltweit am meisten untersuchten Verletzungspräventionsprogramme. Studien belegen eine Reduzierung der Verletzungsraten um bis zu 50 %. Doch angesichts neuer Erkenntnisse ist es höchste Zeit, das Programm weiterzuentwickeln. Durch die Integration von neurokognitiven und ökologischen Prinzipien könnte die Effektivität des FIFA 11+ weiter maximiert werden – insbesondere bei der Prävention von schwerwiegenden Verletzungen wie Kreuzbandrissen. Gleichzeitig können innovative Übungen und Konzepte, wie die des Neuro-Mobility-Trainings, hinzugefügt werden, um das propriozeptive System zu schulen und die Verletzungswahrscheinlichkeit massiv zu reduzieren.

Wenn Du wissen möchtest, wie Du dieses Training gezielt in die Praxis umsetzen kannst und auf der Suche nach anschaulichen Übungsbeispielen bist, dann schau doch in unser Soccerkinetics Buch. Dort findest Du nicht nur detaillierte Anleitungen, sondern auch viele wertvolle Tipps, um Dein Training noch effektiver zu gestalten.

Viel Erfolg beim Training!
Dein Soccerkinetics Team

“Trainiere heute, worüber andere erst morgen nachdenken!”

Quellen

Al Attar, W. S. A., Bizzini, M., Alkabkabi, F., Alshamrani, N., Alarifi, S., Alzahrani, H., … & Sanders, R. H. (2021). Effectiveness of the FIFA 11+ Referees Injury Prevention Program in reducing injury rates in male amateur soccer referees. Scandinavian journal of medicine & science in sports, 31(9), 1774-1781.

Chaput, M., Simon, J. E., Taberner, M., & Grooms, D. R. (2024). From Control to Chaos: Visual-Cognitive Progression During Recovery from ACL Reconstruction. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 54(7), 1-26.

Grooms, D. R., Bizzini, M., Silvers-Granelli, H., & Benjaminse, A. (2024). Neurocognitive & Ecological Motor Learning Considerations for the 11+ ACL Injury Prevention Program: A Commentary. International Journal of Sports Physical Therapy19(11), 1362.

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